Auf den Spuren eines Gletschers

FELDKIRCH, 01.10.2006, Redaktion Dr. Putzi

Auszug aus dem in einer Gletscherspalte gefundenen Tagebuch eines Expeditionsteilnehmers.
(Die Fotos wurde nachträglich anhand der detaillierten Angaben rekonstruiert.)

"Basislager verlassen, Wetter vielversprechend, Stimmung gut aber gespannt. Betty nach den Strapazen des Vortags noch derangiert. Die endlos bis zum zum Horizont reichende glaukonitfarbene Wasserfläche des Lüner See scheint an den Rändern gefroren zu sein. Wie überwinden? ...

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Zum Glück kann entlang des Nordufers ein Weg durch penninische Phyllite freigeschlagen werden, danach wird es steiler. Gegend danach wieder eisfrei. Wiggerl sagt 3 Minuten lang nichts, wahrscheinlich Überlegungen zur unterostalpinen Tektonik angestellt. Durst nimmt zu, hoffentlich ist Wasserstelle am Point Totalp nicht versiegt, die letzten Jahrzehnte waren trocken ... bestätigt durch zahlreiche Yak-Mumien am Wegrand ...


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Sonne brennt, Toni schon 325 Minuten still, im Gegenlicht glänzen dicke Tropfen auf seiner Stirn, ob er wohl Befürchtungen wegen seines hohen Wasserverbrauchs am gestrigen Tag hegt? Ich halte mich etwas im Hintergrund, die Luft vorne in der Gruppe ist dick. In der dünnen Luft ist Point Totalp schon früh zu erkennen, blass und kalkalpin, hoch oben zwischen den Felsen ...


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Stunden später, nichts als Steine: Blöcke, Felsen, Wände, Schutt, dann plötzlich ein Unterschlupf, wir stärken uns, schweigend, wissend, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Betty gibt das Signal zum Aufbruch, recht widerwillig schultern wir unser Gepäck, Hammer, Kompass, Lupe, Notproviant, Leuchtraketen, Feuchttücher, Zyankalikapseln. Wieder durch endlose Steinwüsten bergauf, dann ein Gräberfeld, Türme aus gestapelten Brocken, wahrscheinlich Lawinen-, Steinschlag- oder Durst-Opfer. Die Temperatur sinkt sprunghaft, der Kalifeldspat-Anteil auch. ...

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Toni zweifelt laut an der Erreichbarkeit unseres Zieles, Wiggerl murmelt ständig etwas von Bodenproben, scheint an der dünnen Luft zu liegen.

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Mittlerweile reflektiert der Amphibolit unter unserem Füßen gleißend das Sonnenlicht, auch Wiggerl hat Stirnfalten, verbraucht sind die Reserven, die uns die kurze Rast bescherte, wo bleibt der Gletscher? ... wir trotten weiter, Geier beobachten uns, immer steiler, immer rissiger der Fels, unsere Zungen, unser Hirn, verdammt, hier muss doch der Gletscher sein!!!"

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Das Tagebuch endet mit den resignierenden Worten: "... Wir wollten das Helvetikum ent deck e n ..."

 

 

 

 

 

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